Sag JA zu Safety!
Warum SafetyKultur den Unterschied macht – ein Auszug aus dem Buch von René Noël.
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Vorwort
Liebe Sicherheitsfreundin, lieber Sicherheitsfreund,
vor genau anderthalb Jahren erschien mein erstes Buch „Die 6 Diamanten des Lockout/Tagout“. Es erfüllt mich mit Freude, aber auch mit Dankbarkeit für dein Vertrauen, dass du nun mein zweites Buch „Sag JA zu Safety!“ liest und dabei mit mir zusammen die Erfolgsfaktoren auf dem Weg zu einer echten Safetykultur erarbeitest.
Für alle Leser, die mich noch nicht kennen, möchte ich mich gerne kurz vorstellen. Seit knapp zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Arbeitsschutz, und seit fast zehn Jahren bin ich Safetytrainer und Keynote Speaker im Bereich der betrieblichen Arbeitssicherheit. Ich habe mehr als 20.000 Menschen trainiert und ausgebildet und dabei mein Herz der Safetywelt verschrieben.
In diesen vielen Jahren durfte ich eine Unmenge an Erfahrungen sammeln und auch vieles an Wissen aufbauen, von dem ich denke, dass es wichtig ist, es mit interessierten Menschen zu teilen.
Wie auf meinen Live-Seminaren und auch in meinem letzten Buch möchte ich schon an dieser Stelle gerne vom förmlichen „Sie“ zum im Unterbewusstsein besser reagierenden „du“ wechseln. Ich bin René Noël – für dich gerne René – und ich möchte dir in diesem Buch meine Erfahrungen und Seminarinhalte zum Thema Safetykultur weitergeben.
Mit der Entscheidung, dieses Buch zu lesen und darin zu erarbeiten, wie es gelingen kann, eine Safetykultur entstehen zu lassen oder eine vorhandene auszubauen, hast du dich zum Handeln entschieden. Vielleicht ist es dein Wunsch, die Arbeitssicherheit bzw. den Arbeitsschutz in deinem Umfeld nachhaltig zu gestalten und Menschen für Safetyaktivitäten zu begeistern. Ebenso kann es dein Bestreben sein, wichtige und wertvolle Tipps zu bekommen, die dir helfen, noch erfolgreicher in der Umsetzung zu werden. Beides – und noch viel mehr – wirst du in diesem Buch finden.
Viele Menschen, die sich mit dem Arbeitsschutz beschäftigen, sehen einzelne Maßnahmen oder Regeln oft als besonders wichtig an, streng nach dem Motto: „Wenn wir dieses oder jenes eingeführt haben, dann haben wir es geschafft, dann haben wir eine Safetykultur.“
Grundsätzlich gilt aber für die Arbeitssicherheit bzw. den Arbeitsschutz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Oder anders gesagt: Es sind nicht die einzelnen Handlungen, nicht die einzelnen Maßnahmen oder Zielsetzungen, die die Sicherheit ausmachen, sondern das komplette Konstrukt.
Das gilt im Besonderen für die Art des Denkens. Man könnte hier auch vom Mindset sprechen – oder davon, welcher „Geist“ im Arbeitsschutz herrscht.
Ziel dieses Buches ist es, eine positive „Geisteshaltung“ im Arbeitsschutz zu erreichen, gepaart mit wichtigen Methoden und Techniken. Darum empfehle ich dir, die folgenden Kapitel nicht in Rekordzeit zu lesen – und sie vor allem nicht nur einmal zu lesen. Erfolg, und das gilt ebenso für den Arbeitsschutz, ist kein Sprint, sondern ein Marathon.
Gut wäre es, während des Lesens Zettel und Stift bereitzuhalten. Markiere dir wichtige Stellen oder schreibe deine eigenen Gedanken direkt neben die Passage, bei der dir der Gedanke gekommen ist. Wenn ich mir sofort Notizen erstelle, „haftet“ die Information besser in meinem Gedächtnis, und bei einem wiederholten Lesen des Buches finde ich spannende Stellen schneller wieder. Bestimmt hilft dir diese Methode ebenso wie mir.
Im Verlauf der Kapitel findest du auch an verschiedenen Stellen Aufgaben. Diese dann sofort schriftlich zu erledigen, hilft dir dabei, das Erarbeitete schneller zu festigen.
Nun wünsche ich dir viel Spaß und Erfolg beim Erkunden und Lesen dieses Buches!
Dein René Noël
Safety by Habit
Bei alldem, was ich über Arbeitsschutz lernen und erfahren durfte, habe ich es mir angewöhnt, besondere Umstände innerhalb eines Unternehmens zu „clustern“. Sprich: Dinge, die im Zusammenhang mit Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit stehen, in verschiedene Begriffe einzuteilen, um diese immer leicht identifizieren zu können. Das hilft mir ungemein beim Erkennen von Missständen, aber eben auch bei der Planung neuer Schritte in eine Safetykultur.
Wenn ich eine Situation erkenne, gehe ich sprichwörtlich in meine „Bibliothek“ und schlage den Begriff nach, der sich gerade vor mir darstellt. Ich sehe dann sofort auf einen Blick, was sich hinter dem Begriff verbirgt, wie ich reagieren muss oder was mir als Alarmsignal dient.
Vielleicht möchtest du dir auch so eine Einteilung zulegen. Dazu kannst du gerne meine im Buch beschriebenen Begriffe verwenden, aber eben auch deine eigenen erfinden. Jedes Kind braucht einen Namen – und genauso braucht jede Situation zum besseren Verständnis eine Zuordnung.
Einige Begriffe haben wir im Verlauf des Buchs schon kennengelernt, andere werden noch folgen. Wichtig ist, dass diese Art des Umgangs mit Begrifflichkeiten es uns einfacher macht, eine Safetykultur zu gestalten.
Einer der Begriffe, die ich in meiner „Bibliothek“ habe, ist Safety by Habit. Frei übersetzen könnte man diesen Kunstbegriff mit Arbeitsschutz aus Gewohnheit.
Die Macht der Gewohnheit, das sagte schon Reinhard K. Sprenger, ist der härteste Klebstoff der Welt. Für den Arbeitsschutz beschreibt dieser Begriff genau die Gewohnheiten, die wir dort leben – im Guten wie im Schlechten.
Das möchte ich gerne näher beschreiben. Dazu wähle ich zwei Beispiele aus der Praxis in direkter Abfolge. Diese sollen verdeutlichen, welche Seite wir anstreben sollten, wenn wir über Safetykultur reden.
Beispiel 1: Safety by Habit – negativ
In einer Verzinkerei kam es vor Jahren zu einem schweren Unfall. Was war passiert? Das Unternehmen verfügte über etliche Becken mit Laugen, Säuren und anderen Chemikalien. In diese wurden in verschiedener Reihenfolge diverse Werkstücke mittels Kranbahnen abgelassen. Dort verblieben sie – je nach gewünschtem Ergebnis – unterschiedlich lange.
Im Laufe der Jahre hatte das Unternehmen immer schwerere Werkstücke zum Verzinken in Auftrag genommen, doch an zwei dieser Becken wurden die Kranbahnen nicht für die höheren Lasten aufgerüstet. Soweit es die Instandhaltung betraf, war das keine gute Idee, denn diese Kranbahnen mussten sehr häufig repariert werden.
Auf die Produktion hatte dies ebenfalls Auswirkungen. Oft kam es vor, dass besonders schwere Werkstücke an der Beckenkante hängen blieben und dort von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per Hand ins Becken gezogen werden mussten. Dieser Zustand war über Jahre aktuell und wurde mit der Zeit als normal empfunden – er wurde nicht mehr infrage gestellt.
Als nun in einer Nachtschicht ein großes und schweres Werkstück mittels Kran in eines dieser Becken verbracht werden sollte, blieb es an einer der Kanten hängen. Der zuständige Kollege bemerkte das, verständigte einen weiteren Kollegen und bat ihn, die Fernsteuerung des Krans zu betätigen, während er selbst das Werkstück über die Kante zog.
Dieser Vorgang war weder neu noch außergewöhnlich. Doch dieses Mal war alles anders. Um effektiv ziehen zu können, beugte sich der Mitarbeiter weit über das offene Becken und zog an dem Werkstück, während er seinem Kollegen deutete, den Kranarm anzuheben. Dann löste sich das Werkstück – und der Kollege verlor die Balance.
Den weiteren Verlauf der Schilderung erspare ich dir an dieser Stelle – wie du dir denken kannst, aus gutem Grund.
Bei der Aufarbeitung des Unfalls wurde der Kollege, der die Kranbahn betätigt hatte, gefragt, warum die beiden so vorgegangen waren. Seine Antwort: „Das haben wir doch immer so gemacht.“
Beispiel 2: Safety by Habit – positiv
In einer Großdreherei in Frankreich, die sich mit der Herstellung von Motor- und Antriebswellen beschäftigt, verlor ein Mitarbeiter in einer Unfallsituation fast sein Augenlicht – Gott sei Dank nur fast.
An einer der größeren Anlagen, für die dieser Mitarbeiter zuständig war, wurden Antriebsgestänge für Reisebusse gefertigt. Dieser Prozess fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt, da Gefahren wie schnell drehende Teile, Hitze, Chemikalien und andere Flüssigkeiten zu erheblichen Verletzungen hätten führen können.
Im Verlauf der Arbeiten fiel dem Mitarbeiter auf, dass die Bearbeitung nicht wie gewünscht verlief. Er öffnete eine Kontrollklappe, um das Problem in Augenschein zu nehmen. Genau in diesem Moment löste sich ein etwa 1×1 cm großer Metallspan und flog mit hoher Geschwindigkeit auf den Mitarbeiter und seine Augen zu.
Ein kurzes Zurückweichen des Kopfes, dann der Aufprall – begleitet von einem: „Aua! Merde!“ Doch die getragene Schutzbrille hielt stand, und der Splitter prallte vom Glas ab.
In der Folge wurde ein Beinaheunfallbericht angefertigt, und sein Vorgesetzter fragte ihn, wie er sich fühle. Die Antwort war bemerkenswert. Er entgegnete: „Sehr gut. Ich bin froh, dass wir diese Brillen haben, sonst wäre wer weiß was passiert.“
Drei Jahre zuvor war das Tragen einer Schutzbrille verpflichtend eingeführt und mit wirklich allen erdenklichen unterstützenden Maßnahmen begleitet worden. In dem Unternehmen bestand schon vor der Einführung eine neue, aber sehr intensive Safetykultur.
Es dauerte nicht einmal einen Monat, bis alle betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Tragen als angenehm und richtig empfanden – aber nie als hinderlich.
Und jetzt sehen wir, warum diese Gewohnheit so wichtig ist. Safety by Habit kann beides sein: Fluch oder Segen. Es liegt ganz alleine in unserer Hand, welches von beiden wir für uns und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vereinnahmen.
Es ist besonders wichtig, Maßnahmen im Arbeitsschutz in positive Gewohnheiten umzuwandeln. Dazu müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestaltend beteiligt sein, sodass sie aus gesundem Selbstantrieb Veränderungen mittragen und unterstützen. Beim Aufbau und Leben einer Safetykultur wirkt das wie ein Turbo.
Somit haben wir einen weiteren Begriff für unsere „Bibliothek“.
Ich hoffe, dieses Kapitel hat dir gefallen und du hast jetzt vielleicht Interesse, das ganze Buch zu erkunden.
PDF herunterladen
sowie die Anmeldung zur Mastery Class in deiner Nähe –
findest du unter
www.Die6Diamanten.de
